Mittwoch, 24. Oktober 2012

GRAND OLD MEN

Als die laut dröhnende Technoretromusik aus den im Raum schwebenden Lautsprechern verstummt und das Licht im riesigen Giebelsaal verlöscht, senkt sich eine erwartungsvolle Stille, wie ein landender Greifvogel mit seinen unsichtbaren Schwingen über den Raum und macht die fast ehrfurchtsvolle Erwartung greifbar. Das Saallicht wird langsam heruntergedimmt und als es fast vollständig dunkel geworden ist, entflammen zwei gleißend helle Spots, die den Raum wie suchenden Finger durchkämmen. In den diamtetral enfernten Ecken des Saales finden die Lichtsäulen ihre gesuchten Protagonisten und lassen sie nicht mehr ins Dunkle zurück. Das Publikum hält den Atem an und es wird noch stiller, als plötzlich das 30köpfige Orchester Legionen von Gänsehäuten durch die Reihen entsendet. Die großen alten Männer der deutschen Gegenwartsliteratur verneigen sich kaum sichtbar, aber mit unfassbarer Würde. Ingo Jungs langes, schloßweißes Haar reicht ihm bis zu den Schulterblättern und umspielt das Jackett seines perlmuttfarbenen, ionisierenden Jacketts. Einige Damen beginnen zu schluchzen. Der 105jährige hebt einen Mundwinkel zu einem angedeuteten Lächeln und blickt mit blitzenden Augen in die Menge. Auf der gegenüberliegenden Seite steht der mächtige Koloss Block. Seine hochglänzende Titanschädelplatte reflektiert die Lichtstrahlen und versetzt diese in sichtbare Schwingungen, die das Deckenfresco, das die beiden Ausnahmekünstler mit Figuren aus ihren größten Romanen vor vielen Jahren selbst gestaltet hatten, in fast lebendig anmutende Bewegung. Block trägt wie immer ein schwarzes Hemd aus gewebtem Fellhaar der selten gewordenen Pechkängurus aus dem südamerikanischen Regenwald. Er wirkt wie immer vital und seine Finger sind unaufhörlich in Bewegung, grad so wie seine nie zur Ruhe kommenden Gedanken und Ideen hinter der hohen Stirn. Die beiden Akteure nicken sich zu und schreiten dann unter den würdevollen Klängen des von Prof. Tim Gijbels geleiteten Orchesters auf die Bühne. Diese hat an beiden Seiten goldene Treppenlifte mit denen die beiden Freunde in ironischer Remineszenz an ihr Lebensalter auf die 12 Meter hohe, aus flüssigem Kaltstahlstahl bestehende Plattform gehoben werden, auf denen ihr Lesepult thront. Sonst wird dem Auge hier wenig geboten. Zwei schwarze Lampen, die noch mit Elektrostrom betrieben werden und ein schwarzes Tuch, das den Tisch bedeckt, der kristallene Buffetschwan und viel mehr nicht. Als beide gleichzeitig in ihre gepolsterten Stühle sinken schwebt, wie immer, als Höhepunkt der Inszenierung Sebastian Funke mit einer gläsernen Harfe von der Hallendecke. Er wird von künstlichen Glühwürmchen umschwirrte, dreht eine Runde über die Bühne und spielt dabei das Saitensolo des Klassikers der Musikgeschichte „Major Tom“. Als Funke schließlich mitsamt des Orchsters in einer pneumatischen Luke im künstlichen Goldfischteich unter den Zuschauerreihen verschwindet wird es wieder ruhig. Fast kann man es nicht glauben, dass die beiden Autoren und früheren Freunde nach 30jähriger Pause wieder einen gemeinsamen Auftritt zelebrieren. Und wäre der Anlass nicht so bedeutend, dann wäre es wahrscheinlich auch nicht mehr dazu gekommen. Doch beide wissen, dass heute viel auf dem Spiel steht. Der Weltfrieden, der so lange in Gefahr war.

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